Arbeitsverträg und Rechtsstreit bei internationaltätigen Arbeitnehmern

Kategorie: Steuern, Recht, Arbeits-/Sozialrecht

24.03.2011

Übt ein Arbeitnehmer seine Tätigkeit in mehreren Mitgliedstaaten aus, findet auf einen Rechtsstreit über den Arbeitsvertrag das Recht des Staates Anwendung, in dem der Arbeitnehmer seine beruflichen Verpflichtungen im Wesentlichen erfüllt.

Es geht nämlich darum, dem Arbeitnehmer als schwächerer Vertragspartei einen angemessenen Schutz zu gewähren.

Nach dem Übereinkommen von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht in Zivil- und Handelssachen unterliegen Arbeitsverträge grundsätzlich  dem von den Parteien gewählten Recht. Diese Rechtswahl darf  jedoch nicht  dazu führen, dass dem Arbeitnehmer der Schutz entzogen wird, der ihm durch die zwingenden Bestimmungen des Rechts gewährt wird, das anzuwenden wäre, wenn die Parteien keine Rechtswahl getroffen hätten (Art. 6).

Haben die Parteien keine Rechtswahl getroffen, unterliegt der Arbeitsvertrag daher dem Recht des Staates, in dem der Arbeitnehmer „gewöhnlich seine Arbeit verrichtet“ oder, wenn er seine Arbeit gewöhnlich nicht in ein und demselben Staat verrichtet, dem Recht des Staates, in dem sich die Niederlassung des Arbeitgebers befindet. Ausnahmsweise unterliegt der Vertrag dem Recht des Staates, mit dem der Vertrag die engsten Verbindungen aufweist.

Herr Heiko Koelzsch, der seinen Wohnsitz in Deutschland hat, wurde 1998 von der Gesellschaft luxemburgischen Rechts Gasa Spedition Luxembourg  SA, die von der Gesellschaft Ove Ostergaard Luxembourg SA übernommen  wurde und auf die Beförderung von Blumen  und anderen Pflanzen von Dänemark zu Bestimmungsorten vor allem in Deutschland,  aber auch in anderen europäischen  Ländern spezialisiert ist, als Fahrer im grenzüberschreitenden Verkehr eingestellt.  Die Abstellplätze der  Lastwagen von Gasa  befinden sich in Deutschland, wo die Gesellschaft weder über einen  Gesellschaftssitz noch über Geschäftsräume verfügt. Die Lastwagen sind in Luxemburg zugelassen und die Fahrer sind der luxemburgischen Sozialversicherung angeschlossen. Der 1998 unterzeichnete Arbeitsvertrag von  Herrn Koelzsch sah für den Fall eines Rechtsstreits die Anwendung des luxemburgischen Rechts vor.

Nach der Ankündigung der Restrukturierung von Gasa und der Reduzierung des Einsatzes  von Transportfahrzeugen von Deutschland aus  gründeten die Beschäftigten im  Jahr 2001 in Deutschland einen Betriebsrat, dem Herr Koelzsch als Ersatzmitglied  angehörte.  Mit Schreiben vom 13. März 2001 kündigte der Direktor von Gasa den Arbeitsvertrag von Herrn Koelzsch  zum 15. Mai 2001.

Nachdem Herr Koelzsch Klage vor den deutschen Gerichten erhoben hatte, die  sich für örtlich unzuständig erklärten, klagte er im  Jahr 2002 vor dem Arbeitsgericht Luxemburg gegen die Ove Ostergaard Luxembourg SA, die Rechtsnachfolgerin von Gasa, mit dem Antrag, diese zur Zahlung von Schadensersatz wegen unrechtmäßiger Kündigung sowie einer Kündigungsabfindung und von rückständigem Lohn zu verurteilen. Er trug vor, dass das luxemburgische Recht zwar auf den Arbeitsvertrag anwendbar sei, ihm jedoch nach dem  Übereinkommen  von Rom nicht der Schutz entzogen werden dürfe, der ihm ohne die Rechtswahl durch die Anwendung der zwingende Bestimmungen des deutschen Gesetzes gewährt würde, das die Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats verbiete. Er machte daher geltend, dass seine Kündigung nach deutschem Recht und nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, das das Kündigungsverbot auf Ersatzmitglieder ausgedehnt habe, rechtswidrig sei.

Das Arbeitsgericht Luxemburg entschied, dass der Rechtsstreit ausschließlich luxemburgischem Recht unterliege, was durch den Berufungsgerichtshof und den Kassationsgerichtshof bestätigt wurde.

Im  März 2007 erhob Herr Koelzsch daher beim Bezirksgericht Luxemburg eine Schadensersatzklage gegen den Staat Luxemburg  wegen fehlerhafter Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Rom durch die nationalen Gerichte.

Der Berufungsgerichtshof Luxemburg, der mit der von  Herrn Koelzsch eingelegten Berufung befasst war, beschloss, dem Gerichtshof die Frage vorzulegen, ob, wenn ein Arbeitnehmer seine Arbeit in mehreren Staaten verrichtet, aber regelmäßig in einen von ihnen zurückkehrt, das Recht dieses Staates als das „Recht des Staates, in dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet,“ im Sinne des Übereinkommens von Rom anzuwenden ist.

 

In seinem Urteil vom heutigen Tag weist der Gerichtshof darauf hin, dass Art. 6 des Übereinkommens von Rom spezielle Kollisionsnormen für Einzelarbeitsverträge enthält. Diese Normen weichen von denjenigen ab, die die freie Rechtswahl bzw. die Kriterien zur Bestimmung des mangels einer solchen Wahl anzuwendenden Rechts  betreffen. Art. 6 des Übereinkommens beschränkt daher die freie Rechtswahl. Er sieht vor, dass die Vertragsparteien die Anwendbarkeit der zwingenden Bestimmungen des Rechts, dem der Vertrag unterläge, wenn sie keine Rechtswahl getroffen hätten, nicht durch Vereinbarung ausschließen  können. Ferner stellt diese Vorschrift spezielle Anknüpfungskriterien auf, nämlich erstens das  des Staates, in dem der  Arbeitnehmer „gewöhnlich seine Arbeit verrichtet“, und zweitens, in Ermangelung eines  solchen Orts, das der „Niederlassung, die den Arbeitnehmer eingestellt hat“

Hierzu stellt der Gerichtshof fest,  dass das  Übereinkommen von Rom einen angemessenen Schutz des Arbeitnehmers sicherstellen soll. Übt der Arbeitnehmer seine Tätigkeit in mehreren Vertragsstaaten aus,  ist das  Übereinkommen daher  so zu verstehen, dass es die Anwendung des ersten Kriteriums gewährleistet, das auf das Recht des Staates verweist, in dem der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags  seine  Verpflichtungen gegenüber seinem  Arbeitgeber im Wesentlichen erfüllt, und somit auf das Recht  des Orts, an  dem oder von dem aus  der Arbeitnehmer seine berufliche Tätigkeit tatsächlich ausübt, und, in Ermangelung eines Mittelpunkts der Tätigkeit, auf das Recht des Orts, an dem er  den größten Teil seiner Arbeit ausübt.

 

Das anwendbare Recht bestimmt sich nämlich nach dem  Staat, in dem der Arbeitnehmer seine wirtschaftliche und soziale Tätigkeit ausübt, da das geschäftliche und politische  Umfeld dort die Arbeitstätigkeit beeinflusst. Daher muss die Einhaltung der im Recht dieses Staates vorgesehenen Arbeitnehmerschutzvorschriften so weit wie möglich gewährleistet werden.

Dieses Kriterium des Orts der Ausübung der beruflichen Tätigkeit ist weit auszulegen und wie im vorliegenden Fall anzuwenden, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit in mehreren Vertragsstaaten ausübt, sofern das nationale Gericht den Staat ermitteln kann, mit dem die Arbeit eine maßgebliche Verknüpfung aufweist.

Daher muss der Berufungsgerichtshof das im Übereinkommen von Rom aufgestellte Anknüpfungskriterium bei der Prüfung, ob Herr Koelzsch seine Arbeit gewöhnlich in einem Vertragsstaat verrichtet hat, und bei der Bestimmung, in welchem er sie gewöhnlich verrichtet hat, weit auslegen.

Hierbei muss das nationale Gericht aufgrund des Wesens der  Arbeit im internationalen Transportsektor sämtlichen Gesichtspunkten Rechnung tragen, die die Tätigkeit des Arbeitnehmers kennzeichnen.

Es muss insbesondere ermitteln, in welchem Staat sich der Ort befindet, von dem aus der Arbeitnehmer seine Transportfahrten durchführt, Anweisungen zu diesen Fahrten erhält und seine Arbeit organisiert und an dem sich die Arbeitsmittel befinden. Es muss auch prüfen, an welche Orte die Waren hauptsächlich transportiert werden, wo sie entladen werden und wohin  der Arbeitnehmer nach seinen Fahrten zurückkehrt.

 

Quelle: EUGH